Antizionistische Schmierereien und Drohungen an der translib – Statement des Plenums
Antizionistische Schmierereien und Drohungen an der translib – Statement des Plenums
Am Morgen des 19. Juni 2025 haben wir entdeckt, dass Schaufenster und Eingangsbereich unseres Ladenlokals umfassend mit antiisraelischen Parolen, Symbolen, Stickern sowie mit Gewaltdrohungen gegen die Mitglieder und Nutzer*innen unseres Bildungsprojekts beschmiert wurden. Mit unserem Statement wollen wir diesen Angriff auf uns dokumentieren, politisch einordnen und darstellen, wie wir uns als Bildungsprojekt dazu ins Verhältnis setzen. Nach ausführlichen Diskussionen ist dieses Statement der Kompromiss, den wir als Plenumsmitglieder der translib gefunden haben. Uneinig sind wir uns vor allem darin, ob die Schmierereien in ihrer Zusammenschau als antisemitisch zu bewerten sind. Einig sind wir uns darin, dass sie reaktionär sind.
Neben zahlreichen Anti-Israel-Parolen wie „FCK ISRL“, „VIVA INTIFADA“, „FREE PALESTINE FROM THE SEA TO THE RIVER”, einigen Stickern mit ähnlichen Botschaften und der Beschimpfung als „Zio fash scum“, fanden sich auch Drohungen wie ein auf der Spitze stehendes „Hamas-Dreieck“ und der Schriftzug „From the streets to your homes we will find y’all“. Weitere Schmierereien wiesen in eine gänzlich andere Richtung: Quer über die Fensterscheibe wurde – neben diversen, z.T. queeren Anarchie-Zeichen – die Parole „Jin, Jiyan, Azadî“ der kurdischen Frauenbewegung geschmiert.
Der Entstehungskontext der Tat ist uns bekannt: Im großen Veranstaltungsraum des Hausprojekts, in dem auch wir unsere eigenen Räume angemietet haben, fanden in den letzten Monaten wiederholt Veranstaltungen der Gruppe „Internationalist Anarchists LE“ statt. So auch am Abend des 18. Juni 2025. Die Gruppe präsentiert sich auf Instagram als „Internationalist, queerfeminist and anarchist group in Leipzig! Queer as in international collective liberation. Free Palestine!“ Die räumliche, zeitliche und ideologische Nähe der Veranstaltung zu den angebrachten Schmierereien sind augenfällig.
Die Veranstaltungen der „Internationalist Anarchists LE“ wurden von einer Person aus dem Umfeld des Hausprojekts durchgeführt. Diese hat sich damit über die Beschlüsse des Hausplenums hinweggesetzt, das mit der Durchführung dieser Veranstaltungen nicht einverstanden war. Uns wurde vom Hausplenum mitgeteilt, dass die betreffende Person die Verantwortung für die Schmierereien nicht abgestritten hat.
Zur politischen Einordnung:
Es wäre sinnlos, hier darüber zu rätseln, was uns vorgeworfen wird. Statt im Streitgespräch tatsächlich für seine politischen Überzeugungen einstehen und vielleicht auch mal Widerworte dabei aushalten zu müssen, wurde einfach zum Edding gegriffen und mit Gewalt gedroht.
Klarstellen wollen wir, dass wir diese und ähnliche Aktionen verurteilen – wegen ihres politischen Gehalts und wegen ihrer Form. Ohne uns mit Opfern antisemitischer Gewalt und die „International Anarchists LE“ mit Kriegsparteien wie der Hamas gleichsetzen zu wollen, möchten wir darstellen, auf welche Politik die Schmierereien rekurrieren und welche Botschaften sie transportieren.
Die Parolen setzen „Zionisten“ mit „Faschisten“ und mit Schmutz („Scum“) gleich. Damit werden Zionisten als absoluter politischer Feind markiert. Die Markierung als absoluter politischer Feind und die verbale Enthumanisierung des Gegenübers dient dazu, Gewalt vorzubereiten und zu legitimieren. Der Ausdruck „Zionist“ wird spätestens seit den antisemitischen Schauprozessen im Stalinismus der 1940er Jahre in der Linken meist nicht im Sinne einer sachlichen Bezeichnung verwendet, sondern als Schmähvokabel. In der Logik der Hamas und anderer antisemitischer Terrorgruppierungen meint „Zionist“ nicht die Vertreterinnen einer politischen Strömung innerhalb des Judentums, sondern pauschal alle Menschen, die sich in Israel aufhalten oder die mit Israel assoziiert werden. So wurden von diesen Gruppen am 7. Oktober 2023 israelische Zivilistinnen unterschiedslos entführt, ermordet, vergewaltigt und gefoltert. Nach dieser dehumanisierenden Logik haben alle Menschen, die in Israel leben, den Tod verdient.
Dieselbe Logik ist am Werk, wenn alle Bewohnerinnen Gazas pauschal als „Islamisten“, „Terroristen“ oder „Terrorunterstützer“ gebrandmarkt werden, um die gegen sie von der israelischen Armee ausgeübte Gewalt inklusive Kriegsverbrechen zu rechtfertigen. Aus einer universalistischen Perspektive wenden wir uns gegen jede Rhetorik, die den Unterschied von Zivilistinnen und Kombatantinnen verwischt, und ganze Bevölkerungen zu Unmenschen deklariert. Wer so redet, heißt Kriegsverbrechen und genozidale Gewalt gut, solange sie die jeweils „feindliche“ Gruppe treffen.
In der Wirklichkeit, die von den stalinistischen Lügen überdeckt wird, ist der Zionismus eine nationale Befreiungsbewegung des Judentums – einer Minderheit, die über Jahrhunderte sowohl in Europa als auch in Nordafrika und Westasien unterdrückt, verfolgt, vertrieben und ermordet wurde. Die Shoah, die vom nationalsozialistischen Deutschland geplante und durchgeführte Ermordung des europäischen Judentums, ist dabei zweifellos der extremste Tiefpunkt einer langen, transnationalen Geschichte antisemitischer Gewalt. Angesichts dieser Geschichte bietet der Zionismus vielen Jüdinnen und Juden ein Versprechen auf Selbstermächtigung, auf Emanzipation aus ihrer untergeordneten Paria-Stellung – oder einfach auf das blanke Überleben.
Unabhängig davon, wie der Zionismus praktisch umgesetzt wurde, mit welchen Widersprüchen er nach wie vor behaftet ist und welche Konflikte er hinsichtlich der Koexistenz mit Palästinenserinnen mit sich bringt, ist der Faschismus, mit dem der Zionismus in den Schmierereien verbunden wird, etwas grundsätzlich anderes.
Der Faschismus entsteht in imperialen Staaten wie Italien und Deutschland als Projekt zur Zerstörung der proletarischen Emanzipationsbewegung, zur Verstärkung gesellschaftlicher, ethnischer und geschlechtlicher Hierarchien, zur Homogenisierung der Staatsnation und zur Ausrottung „unzuverlässiger“ Minderheiten – und diese paranoiden Reinigungsfantasien richteten sich insbesondere im deutschen Faschismus in allererster Linie mit tödlicher Gewalt gegen Jüdinnen und Juden.
Durch die obszöne Gleichsetzung von Zionismus und Faschismus geben die Schmierereien sich selbst einen antifaschistischen Anstrich. Doch weder ist Zionismus gleich Faschismus, noch Antizionismus gleich Antifaschismus. Die pauschale Gewalt der antizionistischen Intifada gegen Zivilist*innen – auf die die Schmierereien positiv Bezug nehmen – ist kein Akt des Antifaschismus. Denn der Antifaschismus wendet politische Gewalt gezielt gegen politisch organisierte Rechtsradikale an – und muss dabei immer über die Verhältnismäßigkeit von Zweck und Mittel nachdenken, um sich nicht selbst dem politischen Gegner anzugleichen. Die pauschale Gewalt gegen Zivilistinnen ist auch kein Akt der Befreiung. Die Bilder und Erzählungen des 7. Oktobers weckten bei Jüdinnen und Juden weltweit Erinnerungen an eine andere – ganz und gar nicht emanzipatorische – Gewaltgeschichte: die von Pogromen. Es waren vor allem Anarchistinnen, die etwa angesichts des Terrors in der Sowjetunion darauf insistiert haben, dass die politischen Mittel den Zweck korrumpieren. Aus diesem Grund wird auch eine „Intifada“, die mit unterschiedsloser Gewalt vorgeht, niemals eine freie Gesellschaft begründen – auch nicht für Palästinenser*innen.
Wer „Viva Intifada“ schreibt, wirbt nicht für Frieden, sondern heizt den ethnopolitischen Konflikt zwischen Palästinenserinnen und Israelis an. Wer „From the Sea to the River“ schreibt und ein Hamas-Dreieck daneben kritzelt, dem geht es nicht um Koexistenz, sondern der betreibt Stimmungsmache für militärische Eroberungspolitik, Kriegsverbrechen und ethnische Säuberungen – nur eben an der israelischen Bevölkerung.
Die Zusammenstellung solcher Intifada-Rhetorik mit Symbolen des Anarchismus, des Queerfeminismus und der kurdisch-feministischen Freiheitsbewegung: Das Ergebnis ist ein sinnloser Zeichensalat.
Die Widersprüche werden offensichtlich, wenn man der konkreten Bedeutung nachgeht, die sich hinter abstrakten Slogans versteckt. Einmal angenommen, der Angriff unter Führung der Hamas am 7. Oktober hätte sich zu einer erfolgreichen „Intifada“ ausgewachsen, die Israel auslöscht: Dann wäre „from the sea to the river“ keine herrschaftsfreie anarchistische Utopie entstanden, sondern ein autoritäres islamistisches Regime, wie sie in verschiedenen Spielarten etwa im Iran, unter dem IS oder den Taliban existiert. Neben einer entfesselten Gewalt gegen Jüdinnen und Juden wäre dies unweigerlich mit Angriffen auf die Rechte von Frauen und Queers, sowie von Anarchistinnen und anderen linken Oppositionellen einhergegangen. Der feministische Aufstand im Iran 2022, der die ebenfalls hinterlassene kurdische Parole „Jin, Jiyan, Azadî“ (Frau, Leben, Freiheit) in aller Welt bekannt gemacht hat, wandte sich gegen die Islamische Republik, und somit gegen einen der wichtigsten Verbündeten der Hamas. Die kurdischen Frauenverteidigungseinheiten der YPJ ließen im Kampf gegen die islamistischen Gesinnungsgenossen von Hamas und Co. ihr Leben. Die dominierenden Parteien der palästinensischen Nationalbewegung – ob islamistisch oder panarabisch – kämpfen seit Jahrzehnten mit blutiger Gewalt gegen jede Selbstbestimmung von Frauen, Queers und Kurdinnen in der Region. Dieser Zusammenhang wird von unseren Angreiferinnen völlig verfälscht.
Wenn (Queer-)Feministinnen, Anarchistinnen und andere Linke sich mit den Palästinenserinnen solidarisch zeigen wollen, müssen sie dies auf herrschaftskritische und egalitäre Prinzipien gründen. Dies wird nicht möglich sein, wenn sie weiterhin die Erzählungen, Slogans und politischen Zielsetzungen der reaktionärsten und chauvinistischsten Organisationen der palästinensischen Nationalbewegung wie der Hamas einfach übernehmen.
In diesem Sinne haben wir als translib im Januar 2024 den internationalen Aufruf „Left Renewal – Für eine konsequent demokratische und internationalistische Linke“ mitgezeichnet, der in 14 Sprachen übersetzt wurde. Der Aufruf unterstützt diejenigen Kräfte in Israel/Palästina, die für dauerhafte Koexistenz, ein Ende der Besatzung sowie Frieden, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit für alle Menschen der Region eintreten. Ein hoffnungsvolles Beispiel für diesen Kurs ist die linke israelisch-palästinensische Bewegung „Standing Together“.
Wie wir uns als Bildungsprojekt dazu ins Verhältnis setzen:
Der Angriff auf uns und ähnliche Projekte fernab des Konfliktgebiets weitet die destruktive Freund-Feind-Logik auf Personen und Institutionen aus, die keine Verbindung zum Staat Israel haben – wer nicht in die Verdammung einstimmt, wird selbst zum Feind und soll durch Drohungen zur Räson gerufen werden.
Dieses Mobbing wird nicht funktionieren.
Und auch wenn wir die oben analysierte antiisraelische Propaganda falsch und gefährlich finden, werden wir uns nicht einfach auf „die andere Seite“ schlagen. Vielmehr gilt es, die gegenwärtig herrschende perverse Logik zu durchbrechen, die aus dem realen Konflikt in Israel/Palästina ein Spektakel macht, bei dem Zuschauer*innen in aller Welt „ihr“ Team für den Sieg anfeuern. Das schreckliche, reale Leiden auf beiden Seiten wird dabei zur moralischen Erbauung und Identitätsstiftung von Leuten
missbraucht, für die in den allermeisten Fällen persönlich nichts auf dem Spiel steht – wir reden hier ausdrücklich nicht von Menschen mit Familienangehörigen in Israel/Palästina, sondern von allen anderen.
In unserem Bildungsprojekt eignen wir uns historisches Wissen an und schulen unsere Urteilskraft, um die komplexe Situation in Israel/Palästina besser einordnen zu können – anstatt mit Schwarz-Weiß-Denken und einfachen Welterklärungen zu hantieren.
Wir besprechen politische Ideen und Begriffe wie „nationale Selbstbestimmung“, „Kolonialismus“, „Revolution“, „Befreiung“, „Rassismus“, „Antisemitismus“ oder „Zionismus“ miteinander und eignen uns entsprechende Debatten und Theorien aus der Geschichte der Linken gemeinsam an. Ohne ein besseres Verständnis historischer Zusammenhänge, politischer Bewegungen und Begriffe kann eine vernünftige und verantwortungsvoll agierende politische Praxis kaum gelingen.
Wir schaffen einen Raum, um kontroverse politische Fragen wie die Covid-19-Pandemie, den russischen Krieg gegen die Ukraine oder den Israel-Palästina-Konflikt offen und streitbar zu diskutieren: mit klaren ethischen Minimalstandards, differenziert und mit Blick auf das Ziel universeller Emanzipation – ohne Denunziation, Angst und Bekenntniszwang.
Der Angriff auf uns zeigt einmal mehr, dass es der radikalen Linken an alldem bitter mangelt – und bestärkt uns gerade deshalb, unsere Praxis weiterzuverfolgen.
Wir möchten die Aufmerksamkeit nutzen und zu Spenden für die israelisch-palästinensische Basisbewegung „Standing Together“, die sich vor Ort gegen den Krieg in Gaza, für humanitäre Hilfe und die Freilassung der israelischen Geiseln einsetzt, aufzurufen. „Standing Together“ setzt der Kriegstreiberei und ethnisch-religiösen Spaltung eine Perspektive des friedlichen Zusammenlebens in Israel-Palästina entgegen. Für den weiteren Aufbau einer Massenbewegung, die diese Forderungen unterstützt, benötigt die Organisation materielle Unterstützung. Weitere Informationen findet ihr unter
https://www.standing-together.org/en/donate-en
Das Plenum der translib, Leipzig am 8. August 2025.
